Das letzte Land by Svenja Leiber
Autor:Svenja Leiber [Leiber, Svenja]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2014-03-14T23:00:00+00:00
Es wird September. Das Jahr braucht sein Ausatmen. Draußen der feuchte Garten, die Astern und schweren Apfelbaumkronen, darunter die fett gefressenen Igel. Ein Sonntag am langen Tisch in der Luntenküche. Acht Töchter sind noch da. Die Petersilie, die Mutter Lunten mit der Kräuterwiege zerhackt hat, liegt auf den Pellkartoffeln, die Bratengabel versinkt in der Schwarte, als Gosche den Schweinerücken in Scheiben schneidet. Das Bohnenkraut welkt köstlich und zerkocht zwischen den Brechbohnen, Gosche verteilt das Essen, und dann: »Komm, Herr Jesus, und Guten Appetit.«
Lene isst in winzigen Happen.
»Was ist?«, fragt Mutter Lunten und nimmt die Tochter beim Kinn.
»Nichts ist. Ich hab nur die Zeitung gelesen.«
»Und das vertreibt dir den Appetit?«
»Nein. Es ist nur … der Professor vom Ruven ist gestorben.«
»Und?« Gosche sieht vom Teller auf.
»Nichts und. Nur geht Ruven nun vielleicht ganz fort, wo er in der Stadt keinen Lehrer mehr hat.« Lene senkt den Kopf und sagt ganz leise: »Ich dachte nur, vielleicht sollte ich …«
»Nichts sollst du«, sagt Gosche laut. »Er soll! Soll er doch mal wieder vorbeikommen und sagen, ob er dich nun will oder nicht. Und was er inzwischen verdient!«
»Du weißt doch, dass er noch nicht so weit ist.« Lene starrt auf die Bohnen.
»Was ist da an den Bohnen?«, fragt die Mutter und deckt ab.
Im Flur nimmt Lene den Mantel vom Haken und wirft einen schnellen Blick in den Spiegel. Sie ist schöner geworden. Die Wangenknochen und die dunklen Augen zeigen mehr Charakter. Draußen geht sie um den Teich. Auf der glatten Fläche treiben die letzten Blätter der Erlen. Dann nimmt sie den Weg über die Felder bis zur Stellmacherei.
Mutter Preuk pflückt trockene Minze von den Stielen ab und füllt sie in eine hohe Dose. Der frische Geruch der Blätter erfüllt den ganzen Raum. »Setz dich, Lene.« Sie zeigt auf einen Stuhl und flüstert noch ein paar Worte vor sich hin. Kleine Geschichten. Sie spricht mit Nils. Macht sie jetzt viel.
»Alte Karren tun gern knarren«, sagt sie zu Lene. »Darum müssen Nils und ich uns schon mal wieder anfreunden, sonst fremdeln wir nachher an der Himmelstür.«
Lene nimmt Platz und schaut die Alte lange an. Mutter Preuk trägt drei Schürzen übereinander. Lene wartet, bis sie fertig erzählt hat, dann sagt sie: »Ich brauch Rat.«
»Bist du in Heiratslaune?« Mutter Preuk lacht. Ein leises, freundliches Lachen.
»Weiß nicht«, sagt Lene.
»Lad ihn zu Weihnachten ein. Soll er Gosche und Erika was spielen. Als alte Jungfer werden sie dich nicht behalten wollen! Ganz auf den Kopf gefallen sind sie wohl noch nicht. Und der Junge, der geht seinen Weg. Nicht dass er mal reich wird, nicht mit der Fiedelei, aber leben werdet ihr. Hat er mir vorgerechnet, da kommt man schon ein Stück weit, wenn man bescheiden sein kann.«
»Ich kann«, sagt Lene. »Und ich will.«
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